Ich bin Antonio Vega, 31 Jahre alt und einer der Gründer des Zentralen Fundbüros (alias „Have it Back” für das internationale Publikum). Das Zentrale Fundbüro ist die erste Meta-Suchmaschine für Fundsachen und das größte Online-Fundbüro der Welt. Im GründerDaily berichte ich regelmäßig über meine Zeit beim German Accelerator im Silicon Valley. Im ersten Teil meines Erfahrungsberichtes ging es darum, wie wir uns einen der begehrten Plätze im German Accelerator „erpitchen“ konnten. Heute berichte ich euch von meinen ersten Tagen im progressivsten Teil der USA.
Es ist der Wahnsinn. Kaum bin ich in den USA angekommen, werde ich schon in zahlreiche Gespräche verwickelt. Alle hier sind sehr redselig und bis zum Ausgang des Flughafens von San Francisco habe ich schon mit mehreren Leuten über deren Start-up, mein Start-up und andere Smalltalk-Themen gesprochen. Ich rufe mir ein Taxi und werde von einem Junkie übertönt, der neben mir steht und brüllt: „A black man gettin’ a cab. Now I’ve seen everything!” Das ist leider auch eine Seite dieser teuren Stadt: Es gibt viele Obdachlose und viel Elend hier.
Erinnert ihr euch, was ich in meinem ersten Artikel über die Serie „Silicon Valley” gesagt habe? Jeder hier arbeitet mit oder an einem Start-up oder hat zumindest eine Idee dafür. Also bin ich gewappnet, als mir sogar mein ägyptischer Taxifahrer – in gebrochenem Englisch – von seinen Geschäftsplänen erzählt. Es geht um Personalvermittlung. Alle Klischees sind wieder einmal bestätigt.
Meine ersten Schritte in San Francisco und der Geruch von Marihuana
Als ich vor dem Mietshaus mit der Wohnung ankomme, die in den nächsten Monaten mein Zuhause sein soll, ist mein Mitbewohner André gar nicht da. Leider ist alles, was ich von ihm habe, seine Skype-Adresse. Also lungere ich auf der Straße herum und frage schließlich Passanten nach einem W-Lan Hotspot. Sie helfen mir sofort. Erleichtert kommt mir in den Sinn, dass das in Frankfurt wahrscheinlich nicht ganz so einfach geklappt hätte.
André vertröstet mich, meint aber, dass er sich beeilen würde.
Um die Wartezeit zu überbrücken, gehe ich in eine Bar um die Ecke und bestelle mir ein Kölsch, das in einem 0,25 Liter Glas serviert wird – der erste echte Kulturschock des Tages für mich als texanischen Bayer.
Kurze Zeit später taucht André auf, lässt mich in die Wohnung und übergibt mir die Schlüssel. Er ist Taxifahrer und muss deshalb gleich wieder los. Die Tür schlägt hinter ihm zu und ich bin wieder allein. In diesem Moment ist mir das aber ganz recht, denn geschlafen hatte ich seit zwei Tagen nicht mehr.
Revitalisiert erkunde ich am nächsten Morgen die Gegend rund um mein neues Zuhause. Überall gibt es kostenlos Wasser und als ich am Golden Gate Park vorbeikomme, gerate ich mitten in den Trubel des diesjährigen „Hardly Strictly Bluegrass”-Festivals. Eintritt? Fehlanzeige! Auf das Festivalgelände kommt man kostenlos und zahlreiche Besucher haben es sich an diesem Sonntag auf bereitgestellten Campingstühlen und auf dem Rasen bequem gemacht. Ihre Füße wippen im Takt der Musik, die von den verschiedenen Bühnen schallt. Der Stil gefällt mir gut, aber ich kenne mich nicht sonderlich gut damit aus.
Der New Yorker, der neben mir steht und auffällig bunt gekleidet ist und mit dem ich ins Gespräch komme, erwähnt dann aber einen Bandnamen, mit dem ich etwas anfangen kann. Es steht also fest, dass ich am Nachmittag zurückkehren würde, um mir „Cake” anzusehen. Zu meiner Freude wird mir bewusst, dass alle Geschäfte hier auch sonntags geöffnet haben. Also beschließe ich, mir gleich ein neues Handy inklusive SIM-Karte zuzulegen. Unterwegs fällt mir auf, dass nicht nur auf dem Festival, sondern in ganz San Francisco, der Geruch von Marihuana allgegenwärtig ist. Den Polizisten ist das allerdings egal – es gibt schlicht und ergreifend dringlichere Probleme. Zumal es in Kalifornien nicht sonderlich schwer ist, sich auf völlig legalem Wege Marihuana verschreiben zu lassen.
Der German Accelerator startet! Pitch-Time.
Und schon habe ich keine Zeit mehr, um weiter anzukommen. Denn ich darf mich nun dem eigentlichen Grund, der mich hierhergeführt hat, widmen: dem German Accelerator. Während in der Heimat der Tag der Deutschen Einheit gefeiert wird, beginnt für mich mein neues berufliches Abenteuer mit einer Tour durch die neuen Büros in Palo Alto. Danach findet ein Workshop statt, bei dem alle Teilnehmer spontan ihre Geschäftsidee pitchen.
Uns wird schnell klargemacht, dass die Geschäftskultur in den USA eine völlig andere als in Deutschland ist. Amerikaner fackeln zum Beispiel bei unternehmerischen Entscheidungen nicht so lange wie die Deutschen, die gerne jedes einzelne Detail abwägen, um die optimalste Lösung zu finden. Ein Mentor des German Accelerators macht uns auch klar, dass er seinen Schützlingen für deren Business die sehr frühe Auseinandersetzung mit den Bereichen Sales und Marketing nahelegt. In Deutschland liegt das Augenmerk bekanntermaßen mehr auf der Entwicklung des Produkts.
Mir fällt auch relativ schnell auf, dass es in Amerika gut ankommt, wenn ich Geschichten erzähle. Darüber, wie wir auf unsere Idee gekommen sind, wie wir es bis zum Accelerator geschafft haben, lustige und verrückte Fundsachen und vieles mehr. Hauptsache, die Leute sind danach begeistert.
Storytelling scheint hier das sicherste Pitch-Mittel zu sein.
Es wird weniger der Fokus auf das Produkt als auf die Fassbarkeit der Idee als solche gelegt. Es gilt: Ein Pitch, bei dem sich das Team zu sehr auf sein Produkt konzentriert, wird nicht gewinnen. Die besten Pitches betonen den Mehrwert für Kunden und Investoren.

Customer and sales first
Wir Deutschen kümmern uns eh viel zu sehr um unser Produkt, während die Amerikaner die Aufmerksamkeit dem Kunden schenken. Beim genaueren Betrachten der anderen Teilnehmer fällt mir auch auf, dass die deutschen Start-ups sehr pragmatisch ausgerichtet sind – in den USA hingegen folgt man eher einer großen Vision. Und noch ein paar andere Dinge sind in der hiesigen Start-up-Branche grundverschieden:
In Deutschland ist die wichtigste Person im Unternehmen tendenziell der Entwickler, in den USA ist es eher der Sales Representative.
Zwar spielt die Herkunft keine Rolle, doch allgemein kooperieren und investieren Amerikaner bevorzugt mit Unternehmen, die eine Präsenz auf dem eigenen Markt haben. Es kann daher äußerst wichtig sein, eine amerikanische Unternehmensform zu gründen, sei es auch nur als Zweigstelle. Ebenso bleiben US-Investoren bei einem auch noch so beeindruckenden Portfolio auf dem deutschen Markt oft gänzlich unbeeindruckt – es gilt auf dem amerikanischen Markt zu überzeugen. Außerdem fokussieren sich Jungunternehmen in der Startphase zuerst oftmals ausschließlich auf einen Kernmarkt, um innerhalb einer Branche in die Vertikale zu wachsen. Erst dann geht es in die Horizontale und die breite Masse wird in Angriff genommen.
Ist von Anfang an eine horizontale Lösung vorhanden, konzentriert man sich hier dennoch zuerst auf die „Vorzeigebranche”, anstatt zu versuchen, sofort die Masse zu füttern. Ziel ist es, möglichst früh Marktführer einer Sparte zu werden. Niemand strebt nach einem lediglich gut funktionierenden mittelständischen Unternehmen.
In den USA besteht auch weitaus weniger Angst davor, mit einem unfertigen Produkt loszuziehen – darin besteht vielleicht einer der größten Unterschiede zu uns Deutschen.

Mich beschleicht das Gefühl, dass wir außerdem lieber Aufgaben anpacken, während Amerikaner eher Probleme lösen. Deutsche agieren reaktiv, Amerikaner proaktiv.
Deutsche Start-ups arbeiten faktenbasiert und mit einer langfristigen Perspektive, Amerikaner orientieren sich mehr an kurzfristigen Zielen auf dem Weg zur langfristigen Vision. Und sie sind viel lockerer als wir, weniger formell.
Das zeigt sich auch in der Unternehmensstruktur: In Deutschland ist es weitaus schwerer, mit der Führungsriege eines großen, hierarchisch aufgebauten Konzerns in Kontakt zu treten. Hier in den Vereinigten Staaten suchen auch Angestellte im C-Level, also aus der Chefetage, nach neuen Technologien, genauso wie ihre Kollegen auf der Executive-Ebene. Dadurch sind auch die Bosse leichter zu erreichen. Ich stelle diese These auf die Probe und kontaktiere die IT-Führung eines ansässigen großen Unternehmens – mit Erfolg! Ich werde an den richtigen Ansprechpartner vermittelt und werde bald mehr über deren Lost and Found-System erfahren.
Noch ein Unterschied zwischen deutschen und amerikanischen Unternehmen: Während wir unsere Probleme systematisch angehen, neigen die Amerikaner eher zur Improvisation. Ich denke zurück an den Geschichtsunterricht, an das Zitat eines unbekannten deutschen Offiziers nach dem Zweiten Weltkrieg, das ungefähr so lautete: „Der Grund für den Erfolg der US-Marine in Kriegszeiten ist, dass Krieg Chaos bedeutet. Und die US-Marine praktiziert täglich Chaos.” Die Eigenschaft, dass wir immer über alles informiert sein wollen, teilen die Amerikaner auch nicht mit uns. Informationen sind zwar gerne gesehen und auch nützlich. Aber bevor viel Zeit damit verschwendet wird, eine perfekte Entscheidung zu fällen, agiert man hier lieber schnell mit einer guten Entscheidung.
Im Laufe des Tages besprechen wir auch noch Rechtliches und diskutieren neben den bereits angeschnittenen kulturellen auch die geschäftlichen Vorteile, in Amerika ein Unternehmen zu gründen. Und vor allem erfahren wir auch, welche Regionen dafür vom Standpunkt der Venture Capital Geber und dem operativen Geschäft her besonders gut geeignet sind. Beliebt wegen der laxen Steuerregelungen ist ein Bundesstaat an der Ostküste: Stichwort Delaware Inc.

Wir erfahren auch, welche Voraussetzungen ein Investor hier erfüllen muss, um eine offizielle Akkreditierung als solcher zu erhalten. So können Start-ups sicherer sein, dass der Gegenüber nicht nur Gott und die Welt verspricht, sondern zumindest ein Mindestmaß an Sicherheit bietet. Hierzu zählt zum Beispiel ein an die Familienverhältnisse ausgerichteter Mindestverdienst. Auch Eigenheiten des US-Personals, das wir ja alle in Zukunft führen wollen, werden beim Accelerator besprochen. Beispielsweise gibt es hier die „Car Allowance” – eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, dass der Privatwagen gegen einen Einkommenszuschlag als Dienstwagen genutzt wird.
Wie ihr euch vorstellen könnt, war das jetzt nur ein kleiner Einblick in das mehrtägige „Bootcamp” direkt zum Start des Programms. Die Informationsflut war durchaus beachtlich, aber sehr nützlich. Mentoren aus den verschiedensten Bereichen geben uns einen Einblick in ihren Fachbereich, von Marketing über HR bis hin zu IP-Themen und mehr. Ich buche mir direkt ein paar Stunden für Einzelgespräche, um an Have it Back zu feilen. Auch für das erste persönliche Treffen mit meinem Leadmentor Christian Busch ist nun endlich Zeit. Fast nebenbei erwähnt er ein weiteres Unternehmen, für das er in einem vergangenen German Accelerator Batch als Mentor fungierte.
Er stellt mir Philipp Weirauch, den Geschäftsführer von CheckMobile, vor, da er eine Schnittmenge bei unseren Angeboten sieht. Wir kommen ins Gespräch und stellen fest: Da könnte was dran sein! Nun habe ich über den Tourismusfaktor hinaus einen weiteren Grund, die Straßen von San Francisco zu durchwandern. Ich suche verschiedene Ableger von Unternehmen, die mit CheckMobile in Europa bereits zusammenarbeiten und erfahre mehr über deren derzeitiges Lost and Found Management. Ganz seriös natürlich. Zerrissene Jeans habe ich derzeit sowieso keine parat.
Bis zum nächsten Mal und viele Grüße nach Deutschland.
- Wie es dazu kam, dass wir uns mit unserem Start-up beim German Accelerator durchsetzen konnten und nun in Amerika durchstarten, könnt ihr nochmal im ersten Teil meines Erfahrungsberichtes nachlesen.
Der Beitrag Frankfurter Start-up goes Silicon Valley: „Das Abenteuer beginnt“ [Teil 2] erschien zuerst auf GründerDaily - Deine tägliche Dosis Unternehmertum.