Der Messenger-Anbieter WhatsApp vollzieht einen Strategiewechsel und bietet seine App zukünftig kostenlos an. Umsätze sollen von nun an mit Unternehmen gemacht werden. Wir haben nach den Ursachen für die Abschaffung des Bezahlmodells geforscht und das Potenzial des neuen geplanten Erlösmodells analysiert. Außerdem zeigen wir, wie sich die neue Strategie des Unternehmens auch auf die weltweite Start-up-Szene auswirken kann.
WhatsApp soll kostenlos werden. Diese Nachricht verbreitete sich gestern in den sozialen Netzen und Newsportalen wie ein Lauffeuer, nachdem WhatsApp-Mitgründer Jan Koum dies auf der Münchner DLD, einer der in Europa wichtigsten Digitalkonferenzen, verkündete. Rund zwei Jahre nach dem Verkauf des Unternehmens an Facebook vollzieht WhatsApp damit eine Kehrtwende und passt das Geschäftsmodell an. Anstatt der viel befürchteten Werbung sollen jedoch Unternehmen als neue Erlösquelle dienen, indem WhatsApp als Kommunikationskanal gegenüber Kunden verwendet werden kann.
Die wahren Gründe für die Abschaffung des Bezahlmodells
WhatsApp-Gründer Koum begründet die Strategieänderung mit der zu geringen Verbreitung von EC- oder Kreditkarten in den jenen Wachstumsländern, in denen WhatsApp noch nicht so stark wie in den USA oder Europa vertreten ist. Ohne entsprechende Zahlungsverfahren ist es nämlich nicht möglich, die App langfristig zu nutzen. Damit die Menschen nach der kostenlosen Testphase nicht den Kontakt zu Familie und Freunden verlieren, werde WhatsApp in den nächsten Wochen daher kostenfrei zur Verfügung gestellt. Bisher kostete WhatsApp für Android-Nutzer nach Ablauf der einjährigen Testphase 89 Cent im Jahr. Für Nutzer von Endgeräten mit iOS-Betriebssystem war die App schon immer kostenlos.

WhatsApp ist mit fast einer Milliarde Nutzern der beliebteste Messenger weltweit
Koum hat bei dieser Entscheidung aber auch sicherlich das Wachstumspotenzial des Messengers im Hinterkopf gehabt: Ist WhatsApp zukünftig in Entwicklungs- und Schwellenländern kostenlos verfügbar, sollte die aktive Nutzerbasis von aktuell fast einer Milliarde Menschen nochmals deutlich erhöht werden können.
Durch die Übernahme von Facebook kann es das Start-up hinter dem Messenger mit dem Geldverdienen entsprechend langsam angehen lassen, da die rund 120 Mitarbeiter von WhatsApp dank des Facebook-Einstiegs auch weiterhin vergütet werden können.
Tatsächlich stellt sich aber auch die Frage, ob ein anderes Erlösmodell nicht mehr Umsatzpotenzial birgt.
Bei einer Milliarde zahlender Nutzer und den jährlichen 89 Cent würde unter dem Strich ein Umsatz – nach Abzug der Payment-Gebühren an die App-Store-Betreiber – von gerade einmal rund 600 Millionen Euro stehen. Verglichen mit den von Facebook im Jahr 2015 geschätzten 17 Milliarden Euro Umsatzerlösen reiht sich WhatsApp deutlich dahinter ein, obwohl die Zahl aktiver Facebook-Nutzer mit über 1,5 Milliarden zwar größer ist, dennoch nicht im Verhältnis zur enormen Umsatzdifferenz steht.
Neues Geschäftsmodell: Unternehmen sollen zahlen
Doch wie soll das neue Erlösmodell des weltweit beliebtesten Messengers in Zukunft aussehen? Die Sorge vieler WhatsApp-Nutzer ist groß, dass das Start-up in die Fußstapfen seines Mutterkonzerns tritt und die App für die Werbevermarktung freigibt. Doch sowohl auf der DLD als auch im neuesten Blog-Artikel von WhatsApp kommt das beruhigende Statement: Es soll auch zukünftig keine Werbeanzeigen geben.
Stattdessen sollen Unternehmen die zahlenden Kunden des Start-ups sein, indem diese in Zukunft WhatsApp als Kommunikationskanal für ihre eigenen Kunden nutzen dürfen – zum Beispiel, um eine Tischreservierung im Restaurant entgegenzunehmen oder Fluggäste über Verspätung zu informieren. Die Möglichkeiten sind vielfältig und die Zahlungsbereitschaft der Unternehmen sicherlich deutlich höher als die bei Privatpersonen.
So wird es Unternehmen ermöglicht, auf bequeme Art und Weise mit den eigenen Kunden per Smartphone in Kontakt zu treten, ohne dass dabei die unternehmenseigene App installiert sein muss.
WhatsApp orientiert sich damit an der in China mit über 500 Millionen Nutzern sehr erfolgreichen Kommunikationsapp WeChat, die Nutzern Funktionen wie die Buchung von Taxis, das Einkaufen in Onlineshops oder das Barbezahlen ermöglicht.

Das neue Erlösmodell von WhatsApp macht Unternehmen zu zahlenden Kunden (Screenshots: WhatsApp)
Folgen für die Start-up-Szene: Chancen, aber auch Risiken
Jan Koum hielt sich auf der Münchner DLD bedeckt, wie genau die Umsetzung dieser B2C-Kommunikation aussehen soll. Man wolle in diesem Jahr erste Tests fahren, bisher sei jedoch noch keine Zeile Code geschrieben worden. Letztlich existieren wohl zwei unterschiedliche Ansätze, wie WhatsApp Unternehmen in seine App integrieren kann:
- WhatsApp stellt eine kostenpflichtige Schnittstelle bereit
Bisher existiert keine offizielle Schnittstelle für WhatsApp, die es Drittanbietern ermöglicht, Nachrichten über eigene Softwaretools an WhatsApp-Nutzer zu versenden. Sollte sich das Start-up jedoch für eine solche Schnittstelle entscheiden, würde dies positive Auswirkungen auf die weltweite Start-up-Szene haben: Eine Vielzahl neuer Unternehmen könnten gegründet werden, die mit der Entwicklung von WhatsApp-Plugins die Bedürfnisse unterschiedlichster Branchen hinsichtlich der Kundenkommunikation stillen könnten. Vom kleinen Friseursalon über den mittelständischen Handwerksbetrieb bis hin zum Großkonzern könnten Tausende von neuen Programmen entwickelt und in WhatsApp integriert werden. Damit würde der Messenger zur Allzweckwaffe werden. - WhatsApp setzt auf eigene Software-Lösungen
Anstatt einer Schnittstelle kann sich WhatsApp auch für die Entwicklung und Integration eines eigenen Kommunikationstools für Unternehmen entscheiden. Dadurch fielen die Funktionsvielfalt und eine Branchenindividualisierung weitestgehend weg, dafür hätte WhatsApp weiterhin die volle Kontrolle über die Inhalte. Die Folge für viele Start-ups, die sich im Bereich der mobilen Kundenkommunikation bewegen: Sie verlieren ihre Existenzberechtigung, da die meisten Unternehmen auf die WhatsApp-Lösung setzen werden und man als Start-up aufgrund der fehlenden Schnittstellen keinen Zugriff auf die Messenger-Funktionen hätte.
Eine richtungsweisende Entscheidung
Für welchen Ansatz sich WhatsApp auch entscheiden wird, eines ist offensichtlich: Mit diesem Strategiewechsel scheint das Start-up die Kommunikation zwischen Unternehmen und Kunden weitreichend verändern zu wollen. Die Chancen hierfür stehen angesichts der enormen Verbreitung der App sehr gut.
Sollte sich das Management um Jan Koum bei der Umsetzung seiner neuen Strategie keine größeren Fehler erlauben, dann zahlt sich für Facebook der 19 Milliarden-US-Dollar Deal womöglich bald aus.
Setzt WhatsApp dabei noch auf eine Schnittstelle, auf die Unternehmen, insbesondere Start-ups, zugreifen können, dürfte um WhatsApp herum ein eigenes Ökosystem entstehen, das die App wertvoller macht denn je – und somit unverzichtbar für seine Nutzer.